Warum bei der Suche nach einer ökumenischen Vision den Impuls zu mehr kindlich-naivem Glaubensausdruck nicht wörtlich nehmen? Besuch eines Ökumenischen Kindergartens in dem nahe Kitzingen gelegenen fränkischen Weinort Rödelsee. "Lalalala-la, lalalala-la, lalalalalalalalalala." Fröhlich wird der Refrain des Kindermutmachliedes gesungen, das vom liebevollen Überwinden von Grenzen handelt: "Wenn einer sagt, ich mag dich, du, ich find dich wirklich gut, dann krieg ich eine Gänsehaut und auch ein bisschen Mut." Eine Kindergärtnerin erzählt, dass man die Kinder nicht gerade als energische Verfechter ihrer jeweiligen Konfession bezeichnen kann: "Einmal haben sie uns gesagt: Wir sind aus der golischen und der gelischen Kirche, sie konnten gar nicht evangelisch und katholisch unterscheiden." Sie kennen aber Geschichten von Jesu, besuchen bei Festen abwechselnd die katholische und die evangeliche Kirche. Und dass nicht ein Pfarrer allein zur Andacht in der Kindergarten kommt, ist selbstverständlich. "Da kommen die zwei, wir setzen uns in den Turnraum und singen", erzählt ein Junge. "Die Lieder üben wir auch vorher. Die Sonja sagt: Lasst mal euer Essen stehen! Dann gehen wir in den Turnraum und beten."
Im dem Kindergarten sollen die Traditionen freilich nicht verschmolzen werden, sagt der evangelische Pfarrer Jan Peter Hanstein: "Für mich ist Ökumene eher additiv. Wir suchen nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern ergänzen evangelische und katholische Elemente. Damit fahren wir ganz gut und müssen bei uns in der evangelischen Gemeinde auch immer wieder einmal darauf hinweisen: Halt mal, im ökumenischen Kindergarten kann man auch etwas über Heilige lernen, über Sankt Martin oder Maria."
An diesem Tag feiern die Kinder die letzte Andacht im Kindergartenjahr. Pfarrer Hanstein und sein katholischer Kollege Bernd Steigerwald haben Schirme mitgebracht, die vor Regen oder Sonne schützen - und auch vom göttlichen Behütetsein erzählen. Die Kinder stehen auf, wenden einander im großen Kreis den Rücken zu und legen dem Nachbarn die Hände wie einen Schirm über den Kopf. „Morgen werden wir rausgeschmissen", sagen die baldigen Schulkinder aufgeregt. Sie erhalten noch einen persönlichen Segen. Jedes Kind sucht sich den Weg zu einem der Geistlichen - und niemand prüft, ob die Konfessionen zwischen Kind und Pfarrer identisch sind. Der Segen - eine prinzipiell überkonfessionelle Angelegenheit.
Ökumene im Paddelboot
Abseits der Konferenzräume, an der kirchlichen Basis, kann der Glaube konfessionelle Barrieren überwinden - indem man feiert. Das belegt in Rödelsee der evangelische Seniorennachmittag, zu dem auch die katholischen Senioren eingeladen sind. Nach Kuchen wird gegen Abend auch Braten in Salzkruste gereicht, der Silvaner steht ohnehin schon länger auf den Tischen. So erinnert man sich trinkend, essend und erzählend eines Ereignisses in Rödelsee, als die Ökumene groß aufspielte: "Da hatte ich Gänsehaut - die Härchen haben sich bei mir aufgestellt", sagt eine Frau über die einige Monate zurückliegende offene Nacht der Kirchen. "Alles war aufgeschlossen, alles hat zusammengepasst!", schwärmt eine andere. "Plötzlich haben die Glocken beider Kirchen ein Lied miteinander gespielt. Das war super!"
Die Gemeinden, deren Gotteshäuser einen Steinwurf weit auseinanderliegen, wollen ihren Glauben gemeinsam leben - was auch an den Pfarrern liegt. "Wir haben einmal während eines Gottesdienstes im Faltboot gesessen, das ist sicher das beste Bild", sagt der katholische Geistliche Bernd Steigerwald. "Wir sitzen hier nämlich wirklich miteinander in einem Boot - auch der Politik, der Öffentlichkeit, der Schule gegenüber. Da wäre es sehr schwierig, wenn wir sagen: Jetzt wird gegeneinander gepaddelt." Das Boot käme kaum vom Fleck, würde sich allenfalls drehen, womöglich ins Schlingern kommen - oder aber nur mühsam in eine Richtung bewegen, weil einer die Paddel etwas kräftiger bewegt. Erschöpft freilich wären beide - ein überzeugendes Symbol: "Wir hatten das Boot auf dem Podium vor ein paar hundert Leuten aufgebaut", erinnert sich Pfarrer Hanstein, und sein Kollege ergänzt: "Wir haben da mit unseren Gewändern drin gesessen, hatten Headsets, konnten paddeln und zugleich frei reden."
Im Rödelsee gleitet man in eine ökumenische Zukunft hinein, in der Eigenheiten nicht trennen, sondern den Glauben reicher machen wollen. So harmonisch es klingt - das ökumenische Leben in dem Weinort darf nicht mit einer durchgängigen Erfolgsgeschichte verwechselt werden. In Rödelsee setzt man sich auch deshalb gemeinsam in das Boot des Glaubens, weil Ökumene zuvor kaum existierte. Vor wenigen Jahrzehnten noch gab es zwei konfessionell getrennte Schulen und zwei ebensolche Kindergärten. "Jetzt ist es besser. Die Leute gucken einander nicht mehr so komisch an - die Spannung aber bleibt, da können Sie machen, was Sie wollen", sagt eine Frau zwischen Silvaner und Salzbraten. Der Wunsch nach Einheit wurde fast ausschließlich von den evangelisch-katholischen Ehepaaren am Leben erhalten, die unter den einstigen Pfarrern sehr zu leiden hatten. Die konfessionsverbindenden Paare aber haben immer wieder versucht, die Fenster der Kirchen aufzureißen, um frischen ökumenischen Wind hineinzulassen, sagt Pfarrer Hanstein: "Vielleicht müssen wir auch mal ein ökumenisches Schuldbekenntnis ablegen und präzise benennen: So war es, so ist es nicht mehr. Und dass uns vieles leid tut, wir immer noch darunter leiden, dass um jedes Kind, das aus einer damals sogenannten Mischehe geboren wurde, ein Kampf geführt wurde, es um jede Mischehe Dramen gab, viele dadurch unkirchlich geworden sind - nicht unchristlich, sondern unkirchlich."
Um Spannungen zwischen den Konfessionen abzubauen, hilft auch, dass Zugezogene einen oft unverkrampften Blick auf das kirchliche Leben im Ort haben. Sie lassen ahnen, dass das evangelisch-katholische Verhältnis nur ein Teil der viel umfassenderen Frage ist, wie Menschen unterschiedlicher Prägungen miteinander auskommen. "Mir ist das so wurscht!", sagt eine Frau, die erst seit einigen Jahren in Rödelsee lebt. "Die Hauptsache, wir glauben alle an einen Herrgott. Man muss miteinander auskommen. Ich komme aus Rumänien, und da haben wir Juden gehabt, Zigeuner gehabt, Rumänen gehabt, wir haben Ungarn gehabt, und wir Sachsen waren da: Wir haben uns alle vertragen. Und da ist es mir hier so komisch vorgekommen, dass es Katholische und Evangelische gibt."
Sich nicht stur auf die konfessionelle Frage zu fixieren, hilft bei der Suche nach einer ökumenischen Vision. Unterschiede treten automatisch zurück. Pfarrer Jan Peter Hanstein: "Ich sage immer: Am meisten hat hier in Rödelsee der Sport integriert. Das sagen die Leute auch: Ich spiele Handball, da ist es egal, ob ich evangelisch oder katholisch bin." Und Pfarrer Steigerwald ergänzt: "Der Sport und das Weinfest! Beim Weinfest gibt es keine Konfessionen." Und wieder Hanstein, der den zwischen Scherz und Ernst schillernden Tonfall des Kollegen weiterführt: "Der Wein macht vieles lockerer, der Sport auch - und die Kirche bringt hinter diesen beiden Leitlinien sein eigenes Thema an. Die möchten integrieren - und wir nicht zurückstehen."